Zukunft der GKV

In der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind knapp 90 Prozent der Bevölkerung pflichtversichert. Quantitativ betrachtet, ist die GKV damit der wesentliche Träger der deutschen Gesundheitsversorgung. Doch setzt der stetige demographische Wandel und die Zunahme an beitragsfrei gestellten Mitgliedern die gesetzliche Krankenversicherung und somit die Finanzierung des deutschen Gesundheitssystems unter erheblichen Druck.

Die gesetzliche Krankenversicherung ist bereits seit 2004 auf Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt angewiesen. Doch was 2004 eine Milliarde Euro waren, könnten im Jahr 2030 – trotz einer Steigerung des Beitragssatzes auf 18,4% – schon 22,5 Milliarden Euro sein. Die Krux: Die finanziellen Möglichkeiten des Bundes sind schon heute erschöpft. Steuermittel stehen künftig nicht oder zumindest nicht mehr in diesem Umfang zur Verfügung. Versuche, die Finanzierungsnot, insbesondere durch Budgetierungen von ärztlichen Leistungen oder weitere Kostendämpfungsmaßnahmen zu verringern, kaschieren lediglich das eigentliche Problem. Der freie Arztberuf ist in seiner Existenz bedroht und die Versicherten werden sukzessiv entmündigt.  Die solidarisch finanzierte und staatliche organisierte Gesundheitsversorgung ist an ihre natürlichen Grenzen gestoßen.

Die gesetzliche Krankenversicherung muss nachhaltig entlastet werden, indem sie einer tiefgreifenden Strukturreform unterzogen wird:

Erstens
muss das Subsidiaritätsprinzip im Gesundheitssystem gestärkt werden. Denn dieser Verhaltenskodex, wonach sich jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten um seine Belange selbst kümmert, ist die andere Seite der Medaille der Solidarität. Dieses Zusammenspiel existiert in der gegenwärtigen gesetzlichen Krankenversicherung nicht. Subsidiarität wurde hier ersetzt durch einen überbordenden Paternalismus, der den einzelnen von jeglicher Verantwortung für das Gesamtsystem freispricht. Ein Umstand, der durch zahlreiche sozialpolitische Ziele, die als Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung implementiert wurden, nur verschärft wurde. Beispielhaft steht hierfür die Familienversicherung, welche es einer Person erlaubt, Kinder und Ehepartner beitragsfrei mitzuversichern. Diese Maßnahme mag für Pflichtversicherte als sogenannte versicherungsfremde Leistung noch als hinnehmbar erscheinen. Im Falle freiwillig gesetzlich Versicherter wirkt diese Subvention jedoch als Umkehrung des Solidargedankens.

Um dem Subsidiaritätsprinzip wieder Gewicht zu verleihen, ist die Versicherungspflichtgrenze deutlich zu senken. Gleichzeitig sind sozial- oder familienpolitische Maßnahmen bzw. Leistungen, sofern sie nicht aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgegliedert werden (können), auf den Kreis tatsächlich Bedürftiger zu beschränken. Denkbar wäre dies durch eine vollständige Abschaffung der Möglichkeit, sich freiwillig in der GKV zu versichern. Alternativ käme die Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze oder der Ausschluss sozial- und familienpolitisch gewünschter Leistungen für diese Versichertengruppe.

Zweitens
muss der Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung auf ein vertretbares Maß zurückgeführt werden mit dem Ziel, eine grundlegende medizinische Versorgung sicherzustellen. Das bedeutet, dass der aktuelle Leistungskatalog von sämtlichen Leistungen zu befreien ist, die dem Grundsatz des Ausreichenden und Wirtschaftlichen nicht entsprechen und ggf. nur wünschenswert sind. Insbesondere sind alle Leistungen zu streichen, bei denen der Nachweis der Evidenz nicht oder nur teilweise erbracht werden kann.

Drittens
müssen Anreize geschaffen werden, um die übermäßige Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen einzuhegen. Ohne das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient zu beeinträchtigen, bieten sich hierfür monetäre Steuerungsmechanismen (z.B. Selbstbehalte pro Arztkontakt) an. Ferner erscheint eine Abkehr vom Sachleistungsprinzip in der GKV zwingend, welches verantwortlich für die vollständige Entkopplung der Leistungsinanspruchnahme von den damit verbundenen Kosten ist. Diese Intransparenz gilt es zu beenden, indem die Vergütung ärztlicher Leistungen auch innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung den Strukturen der Gebührenordnung für Ärzte unterworfen wird. Damit würde erstmalig die Vergütung der gesetzlichen Krankenversicherung als Geldwert pro Einzelleistung aufgeschlüsselt. Mit diesem Schritt könnten neue Werkzeuge gegen die finanzielle Überforderung der Solidargemeinschaft eingeführt und genutzt werden. In Kombination schaffen es diese Maßnahmen, die Kostensensibilität der Patientinnen und Patienten zu verbessern und ein verantwortungsvolles Verhalten bei der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen zu befördern.