Die Souveränität des Patienten

Die Souveränität des Individuums ist ein Merkmal unseres freiheitlich liberalen Gesellschaftsbildes. Dieses garantiert jedem Menschen, selbstständig und frei seine Entscheidungen treffen zu dürfen, bindet ihn jedoch gleichzeitig durch Auferlegung von Selbstkontrolle und Verantwortung. Man hat alle Fäden selbst in der Hand.

Souveränität bedeutet in diesem verstandenen Sinne bezogen auf die medizinische Versorgung, dass die Patientinnen und Patienten der Dreh- und Angelpunkt aller Entscheidungen sind. Sie haben die freie Arztwahl, entscheiden über die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen und organisieren die Finanzierung ihrer Gesundheitsversorgung selbst. Kurz: Patientinnen und Patienten entscheiden, tragen Verantwortung für Ihre Gesundheit, aber auch für Kosten, die durch ihre Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen entstehen.

Trägt man diesem Anspruch an die Souveränität der Patientinnen und Patienten Rechnung, so sind sie für jeden Prozess innerhalb der individuellen Gesundheitsversorgung der Knotenpunkt und erhalten daher vollständige Transparenz. Real wird dieser Anspruch garantiert durch eine bedingungslose Anwendung des Kostenerstattungsprinzips. Dem zugrunde liegt ein direktes Vertragsverhältnis zwischen Ärztinnen und Ärzten und ihren Patientinnen und Patienten. Patientinnen und Patienten erhalten eine Rechnung auf Grundlage der Gebührenordnung für Ärzte, welche jede Leistung einzeln unter Aufführung des fälligen Honorars ausweist. Dadurch werden Patientinnen und Patienten in die Lage versetzt, die Rechnung zu kontrollieren – sie behalten auch in diesem Bereich ihr Mitspracherecht. Wie Patientinnen und Patienten die Kosten tragen, bleibt ihnen selbst überlassen. Sie können sie selbst bezahlen oder an einen Kostenträger ihrer freien Wahl weitergeben.

Schaut man auf Deutschland, so fällt auf, dass aktuell nur rund 11 % der Bevölkerung, nämlich privat vollversicherte oder beihilfeberechtigte Personen, diese Souveränität vollständig zugestanden wird. Der Rest ist gezwungenermaßen Teil der „Solidargemeinschaft" der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese folgt nach ihrem eigenen Regelwerk, dem Sozialgesetzbuch, ganz anderen Grundsätzen: „Die Krankenversicherung als Solidargemeinschaft hat die Aufgabe, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern.“ (§1 Satz 1 SGB V)

Dieses Bekenntnis lässt bereits erkennen, dass die gesetzliche Krankenversicherung sich in die Rolle des paternalistischen „Kümmerers“ begibt. Nicht die Patientinnen und Patienten sind der Souverän, sondern die Kasse. Diese Tatsache wird untermauert durch den Fakt, dass kein Behandlungsvertrag zwischen Arzt und Patient geschlossen wird, sondern lediglich ein Versorgungsvertrag zwischen Krankenkassen und Ärztinnen und Ärzten. Kommt dieser Vertrag in Einzelfällen nicht zustande, können Versicherte keine Leistungen dieses Arztes in Anspruch nehmen. Die Folge dieser dramatischen Verschiebung der Souveränität und der Entscheidungsgewalt ist, dass die Patientinnen und Patienten nun lediglich die Zuständigkeit haben, ihre Versicherungskarte bei sich zu tragen. Der Umfang ihrer Versicherung wird durch den gemeinsamen Bundesausschuss definiert, in welchem Krankenkassen stellvertretend für ihre Versicherten bzw. im Namen der „Solidargemeinschaft“ verhandeln. Die Beiträge werden lediglich am Einkommen bemessen und automatisch mit der Gehaltsabrechnung eingezogen, noch bevor das Geld auf dem Konto der Versicherten angekommen ist. Patientinnen und Patienten erhalten im Zuge dieser Arbeitsweise weder Transparenz über die Leistungen, welche von Ihrer Versicherung übernommen werden, noch über die Kosten, welche sie auslösen.

Jegliches Gefühl über den Wert der eigenen Gesundheitsversorgung geht so verloren. Hieraus resultiert eine fehlende Kostensensibilität und damit eine übermäßige Inanspruchnahme der Solidargemeinschaft. Diese übermäßige Inanspruchnahme wird durch das Anwenden eines hochkomplexen Sachleistungsprinzips kaschiert, welches die finanziellen Lasten zum Teil auf die Ärztinnen und Ärzte abwälzt. Die Komplexität dieses Prinzips macht die Organisation der gesetzlichen Krankenversicherung endgültig undurchdringbar für die Patientinnen und Patienten. Ihr Mitspracherecht geht gegen Null.

Die eigene Souveränität ist jedoch etwas, was allen Patientinnen und Patienten zusteht und erst die Voraussetzung schafft für ein tiefergehendes Verständnis der eigenen Gesundheitsversorgung.