Die Bürgerversicherung

Die sogenannte Bürgerversicherung gehört seit vielen Jahren zum politischen Forderungskanon von SPD, Grünen und weiteren Gruppierungen des linken Spektrums. Wobei bereits der Begriff in die Irre führt, suggeriert er doch, eine Versicherung des eigenverantwortlich und frei handelnden Bürgers zu sein. Tatsächlich ist das Gegenteil richtig.

Mit der Bürgerversicherung wird die Abschaffung des heutigen dualen Gesundheitssystems aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung angestrebt. Ziel – so ihre Protagonisten – sei die nachhaltige und solidarische Finanzierung einer Gesundheitsversorgung, bei der in einem ersten Schritt die gesetzliche Krankenversicherung zur Pflichtversicherung für alle würde. Die Möglichkeit, eine private Krankenvollversicherung zu wählen, würde entfallen. Ebenfalls die Möglichkeit der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen auf Selbstzahlerbasis. Dies wäre, so die Verfechter, moralisch nicht tragbar, da so grassierende Ungleichbehandlungen von Patientinnen und Patienten anhand ihrer finanziellen Möglichkeiten Alltag wären.

Ob diese angeprangerte Ungleichbehandlung der Realität entspricht, darf bezweifelt werden. Schließlich gilt das heutige, zweigliedrige deutsche Gesundheitssystem zu einem der besten der Welt. Nach der International Health Policy Survey des Commonwealth Fund im Jahre 2020 ist es sowohl hohen als auch niedrigen Einkommensgruppen zu 74% möglich, einen Termin beim Hausarzt innerhalb weniger Tage zu bekommen. Im internationalen Vergleich befindet sich Deutschland mit diesem Wert auf dem ersten Platz. Eine Zweiklassenmedizin hieraus abzuleiten, fällt schwer.

Umgestaltung in Richtung Staat

Was jedoch die Bürgerversicherung verspricht, ist eine tiefgreifende Umgestaltung der Gesundheitsversorgung – eine Umgestaltung in Richtung Staat. Der Ärzteschaft würde durch den Wegfall des privaten Anteils im ambulanten Bereich jährlich 49.000 € an Honorar verloren gehen. Die ökonomische Existenz zahlreicher Praxen wäre bedroht. Um eine Praxis weiterführen zu können und gleichzeitig medizinische Innovationen in den Praxisalltag zu implementieren, wären von nun an Ärztinnen und Ärzte verstärkt auf eine öffentliche Finanzierung angewiesen. Sie verlören somit ihre ökonomische Unabhängigkeit. Durch diese starke Abhängigkeit würde es für die Ärzteschaft zunehmend schwerer werden, ihren Anspruch auf Selbstverwaltung gegenüber dem Staat zu verteidigen. Gleichzeitig würde dieser Honorarverlust die Ärzte dazu zwingen, stetig mehr Patientinnen und Patienten in gleicher Zeit zu behandeln. Um nun trotzdem eine hochqualitative medizinische Versorgung weiterhin zu gewährleisten, wären laut Verfechtern der Bürgerversicherung staatliche Qualitätsmerkmale für medizinische Leistungen zu definieren, welche von Ärztinnen und Ärzten erfüllt werden müssten, um eine Vergütung zu erhalten. Der Staat bekäme somit die Fachaufsicht und würde die ärztliche Selbstverwaltung entkernen.

In einer solchen Welt können sich Ärztinnen und Ärzte – sofern sie in Zeiten des „Brain Drains“ nicht eine Tätigkeit in anderen Ländern der Tätigkeit in Deutschland vorziehen – nicht mehr primär an den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten orientieren. Stattdessen müssen sie sich nach den bürokratischen Vorgaben des Bundesgesundheitsministeriums richten. Dies würde unweigerlich einer patientenorientierten medizinischen Versorgung einen schweren Stoß versetzen und außerdem zu langen Wartezeiten für Patientinnen und Patienten führen.

Vollständige Entmündigung der Patientinnen und Patienten

Die Patientinnen und Patienten würden im gleichen Maße abhängig vom Staat, wie die Ärzteschaft. Denn als Gleicher unter Verschiedenen könnte er seine Gesundheitsversorgung nicht mehr selbst gestalten. Jegliche medizinische Leistungen, welche er in Anspruch nehmen möchte, müsste in dem Katalog der Bürgerversicherung enthalten sein. Doch mit dem Fortschreiten des demographischen Wandels und dem damit verbundenen steigenden Behandlungsbedarf wäre es absehbar, dass die Finanzierung der Bürgerversicherung nach kurzer Zeit einem Druck ausgesetzt sein würde, welcher deutlich größer wäre als der aktuelle Finanzierungsdruck innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung.

Um dies zu verhindern, solle die Patientensteuerung – laut der politischen Linken – zu einer staatlichen Aufgabe werden. Hierdurch könnten durch die Einschränkung der freien Arztwahl oder die stärkere Rationierung von Leistungen pro Patient – so die Hoffnung – Effizienzreserven gehoben werden. Die Folge wäre jedoch eine vollständige Entmündigung der Patientinnen und Patienten.

Bei dem Projekt Bürgerversicherung handelt es sich damit nur oberflächlich um die Befriedigung eines vermeintlichen Gerechtigkeitsbedürfnisses. Vielmehr geht es um die Verwirklichung staatszentralistischer Visionen. Hierfür würde die Souveränität der Patientinnen und Patienten sowie die ärztliche Freiberuflichkeit als Grundlage einer hochqualitativen und patientenorientierten Gesundheitsversorgung geopfert werden.